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Erkenntnisse aus dem DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2022
Intakte Technik kann Leben retten
06. Sept. 2022
Studien belegen immer wieder, dass sich dank moderner Fahrzeugtechnik zahlreiche Unfälle vermeiden oder zumindest deren Folgen deutlich vermindern lassen. Dafür dürfen die verbauten Systeme und Bauteile allerdings keine gravierenden Mängel oder unzulässigen Bauartveränderungen aufweisen und müssen einwandfrei funktionieren. Wie wichtig das ist, hat DEKRA in Fahrversuchen für den DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2022 „Mobilität junger Menschen“ eindrücklich unter Beweis gestellt. „Ob die Insassen eines Fahrzeugs sicher und unversehrt ans Ziel kommen, hängt unter anderem entscheidend vom Zustand der Bremsen, des Fahrwerks und der Reifen ab“, erklärt DEKRA Unfallforscher Markus Egelhaaf.
Je moderner ein Fahrzeug ist, desto länger ist in aller Regel die Liste der darin verbauten Fahrerassistenzsysteme. Diese unterstützen in kritischen Situationen dabei, das Fahrzeug kontrollierbar zu halten. Dass die Systeme nur innerhalb der physikalischen Grenzen wirken können, dürfte jedem Autofahrenden auf abstrakte Art bewusst sein. Welchen großen Einfluss aber ganz konkret der Zustand von Reifen, Bremsen und Fahrwerk auf diese Grenzen hat, ist vielen nicht bekannt.
Zur Verdeutlichung hat DEKRA diesen Zusammenhang im Rahmen mehrerer Fahrversuche unter Beweis gestellt. Für den DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2022 „Mobilität junger Menschen“ kamen dabei im DEKRA Technology Center am DEKRA Lausitzring in Brandenburg Gebrauchtwagen zum Einsatz, die vor allem bei jungen Fahranfängern wegen geringer Anschaffungskosten oder den Ruf besonderer Zuverlässigkeit sehr beliebt sind.
So haben die DEKRA Experten zum Beispiel mit einem VW Golf VII bei drei bis fünf Grad Celsius Außentemperatur vergleichende Bremsversuche auf nasser, sehr griffiger Asphaltfahrbahn durchgeführt. Die Ursprungsbereifung bestand aus Ganzjahresreifen einer Premiummarke mit einer minimalen Profiltiefe zwischen 4,8 und 4,0 Millimetern. Bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 100 km/h betrug die Bremsweglänge in mehreren Versuchen nahezu konstant 44,4 Meter. Anschließend wurden Reifen, Bremsen und Stoßdämpfer erneuert. Die Reifen wurden durch neue Winterreifen einer Premiummarke ersetzt. Die Bremsweglänge konnte so auf durchschnittlich 38,7 Meter reduziert werden.
In der gleichen Versuchskonstellation wurde mit demselben Fahrzeug auch mit der Bremsausgangsgeschwindigkeit von 160 km/h gefahren. Hier reduzierte sich der Bremsweg durch die Erneuerungen von 111,0 auf 98,3 Meter. Die Bremsweglänge ließ sich somit bei beiden Geschwindigkeiten um etwa 11 bis 13 % verringern. Wie groß der damit verbundene Sicherheitsgewinn ist, wird angesichts der Restgeschwindigkeit deutlich, die das unreparierte Fahrzeug an der Stelle noch hatte, an der es mit erneuerten Teilen bereits zum Stillstand kam. Bei der Ausgangsgeschwindigkeit von 100 km/h betrug sie noch fast 30 km/h, bei 160 km/h sogar rund 55 km/h.
Zustand von Dämpfern und Federn hat großen Einfluss auf Fahrsicherheit
Mit einem Honda Jazz fuhren die Experten von DEKRA außerdem einen doppelten Fahrspurwechsel. Hierbei wird eine Ausweichreaktion auf ein plötzlich auf der Fahrbahn erscheinendes Hindernis mit anschließendem Zurücklenken auf den ursprünglichen Fahrstreifen simuliert (Nachfolger des sogenannten Elchtests). Die Fahrbahnoberfläche wurde bei allen Versuchsfahrten identisch bewässert. Im Originalzustand waren Ganzjahresreifen mit jeweils mindestens fünf Millimetern Profiltiefe aufgezogen. So konnte der Parcours bis zu einer Geschwindigkeit von 65 km/h durchfahren werden, bei höheren Geschwindigkeiten brach das Fahrzeug, das nicht mit ESP ausgestattet war, aus.
Nach der Erneuerung von Bremsen, Reifen und Stoßdämpfern war ein Durchfahren mit 70 km/h möglich. Zum Einsatz kamen neue Ganzjahresreifen eines namhaften Herstellers. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass alle Fahrten von einem professionellen Testfahrer durchgeführt wurden und die Bereifung der ersten Versuchsreihe eine gute Profiltiefe aufwies. Bereits für erfahrene „Normal“-Fahrerinnen und -Fahrer ist ein sicheres Durchfahren eines solchen Parcours – oder eben das Ausweichen in einer realen Notsituation – in diesem Geschwindigkeitsbereich kaum möglich. „Für unerfahrene Fahranfänger ist im Ernstfall schon bei weitaus geringeren Geschwindigkeiten mit einem Kontrollverlust zu rechnen“, gibt DEKRA Unfallforscher Markus Egelhaaf zu bedenken. Das Mehr an Sicherheit, das dabei durch die ersetzten Teile gewonnen werde, sei nicht zu unterschätzen.
ESP kann Schleuderunfälle oder Abkommen von der Fahrbahn verhindern
Wie wichtig ein guter Fahrzeugzustand im Hinblick auf Fahrwerk, Bremse und Bereifung für die Effektivität eines verbauten ESP ist, zeigte ein weiterer Versuch. Der verwendete BMW 1er (E87) war mit Markensommerreifen ausgerüstet. Auf der Vorderachse betrug die Profiltiefe 2,2 beziehungsweise 2,6 Millimeter, auf der Hinterachse 1,7 und 2,0 Millimeter. Der Pkw wurde auf nasser Asphaltfahrbahn je dreimal auf 130 km/h beschleunigt, danach steuerte ein Lenkroboter ein ruckartiges Ausweichmanöver ein. Normalerweise ist es mit ESP in dieser Situation kein Problem, das Fahrzeug stabil zu halten. Doch obwohl das ESP ordnungsgemäß funktionierte, brach das Fahrzeug bei mehreren Versuchsfahrten aus. „Das zeigt, dass auch die ESP-Regelung nur in den Grenzen wirksam wird, innerhalb derer Fahrwerk, Bremsen und Reifen die entsprechenden Kräfte auf die Fahrbahn übertragen können“, sagt Markus Egelhaaf. Anschließend wurden Bremsen und Stoßdämpfer erneuert sowie die Räder mit neuen Reifen des gleichen Typs ausgestattet. Bei allen drei Versuchsfahrten nach der Reparatur kam es zu keinem Zeitpunkt zu einem Verlust der Bodenhaftung. Das Fahrzeug wurde vom ESP konsequent eingefangen und blieb stabil.
Grundsätzlich sind gute Bremsen und ein zuverlässiger und stabiler Kontakt zwischen Reifen und Fahrbahn bei allen Fahrbahnzuständen essenziell. Sie sind auch Grundbedingung für eine optimale Wirkung von Assistenzsystemen wie dem ABS oder dem ESP. Beim Gebrauchtwagenkauf ist daher unbedingt darauf zu achten, dass diese Komponenten in gutem Zustand sind bzw. unmittelbar nach günstigem Kauf fachgerecht instandgesetzt werden. Pkw ohne ESP sollten – insbesondere auch für Fahranfänger – nicht gekauft werden.
Hauptuntersuchung deckt sicherheitsrelevante Mängel auf
Die von DEKRA durchgeführten Versuche unterstreichen ein weiteres Mal, welch große Bedeutung ein guter technischer Fahrzeugzustand für die Verkehrssicherheit hat und wie wichtig es ist, diesen auch regelmäßig unabhängig zu überprüfen. Das gilt erst recht für ältere Fahrzeuge, die in der Regel wesentlich häufiger erhebliche Mängel aufweisen und damit ein größeres Unfallrisiko darstellen als jüngere Fahrzeuge. „Neben der natürlichen Alterung und dem Verschleiß der Fahrzeuge kann auch das oftmals fehlende Bewusstsein für technische Mängel sowie Sparen bei Reparatur und Wartung fatale Folgen haben“, warnt Markus Egelhaaf. Der DEKRA Experte denkt in diesem Zusammenhang speziell auch an junge Fahrer, die vor allem aus finanziellen Gründen sehr häufig mit älteren Fahrzeugen unterwegs sind.
Die im DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2022 untersuchten Ergebnisse der von DEKRA 2020 in Deutschland durchgeführten Hauptuntersuchungen von Pkw verdeutlichen eindrücklich die mit zunehmendem Fahrzeugalter ansteigende Mängelquote. Bis zu drei Jahre alte Fahrzeuge hatten zu knapp 8 % Mängel, über fünf bis sieben Jahre alte Fahrzeuge zu etwa 20 %. Über neun Jahre alte Fahrzeuge kamen hier schon auf eine Mängelrate von 40 %, 25 % wiesen in dieser Gruppe sogar erhebliche Mängel auf. Nimmt man die gefundenen Mängel im Detail unter die Lupe, so zeigt sich, dass die lichttechnischen Einrichtungen mit etwa 25 % am häufigsten bemängelt werden; es folgt die Bremse mit rund 16 %. Mängel an Achsen mit Rädern und Bereifung nahmen mit über 14 % ebenfalls einen hohen Stellenwert ein.
Hintergründe zum Thema sowie viele weitere Informationen liefert der aktuelle DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2022 „Mobilität junger Menschen“. Er steht online unter
www.dekra-roadsafety.com
zum Download zur Verfügung. Dort finden sich auch sämtliche Vorgänger-Reports inklusive weitergehender Inhalte, etwa in Form von Bewegtbildern oder interaktiven Grafiken.
Bildunterschriften: Fotos: DEKRA / Thomas Küppers 1: Vollbremsung aus 160 km/h: Mit erneuerten Bremsen, Reifen und Stoßdämpfern verringert sich der Bremsweg deutlich. 2: „Elchtest“: Im ursprünglichen Zustand bricht das Versuchsfahrzeug bei 70 km/h aus – und das mit einem professionellen Testfahrer. Für Fahranfänger wäre das Fahrzeug in einer solchen Situation schon bei deutliche geringeren Geschwindigkeiten nicht mehr kontrollierbar 3: Lenkeingriff bei 130 km/h: Mit abgefahrenen Reifen bricht das Fahrzeug aus – das ESP kann sein Wirkpotenzial nicht ausspielen.